1964 betrat ein Mädchencharakter die Welt der globalen Comic-Kultur, der so progressiv war, dass er erst Jahrzehnte später mit Lisa Simpson eine ebenbürtige Nachfolgerin finden sollte. Mafalda lebte mit ihren Eltern in Buenos Aires, war im Grundschulalter und trug fast immer eine dicke Schleife im Haar.
Vor allem aber war sie viel zu klug für diese Welt: Mafalda, die davon träumte, später bei der Uno zu arbeiten und die für die Beatles schwärmte, beschäftigten die Frauenbewegung, Atomkriege und der Hunger in der Dritten Welt.
Deshalb bombardierte sie ihre Eltern regelmäßig mit Fragen, die simpel klangen, aber Großes in sich trugen. Mafalda trug sie mit der Haltung des neugierigen Kindes vor, das alles wissen will, nicht mit einem vorgefertigten moralischen Urteil im Hinterkopf. Mama und Papa, zugewandt, aber auch genervt und heillos überfordert, wussten, dass sie nicht mal keine gute, sondern schlicht gar keine Antwort für ihre Tochter hatten.
Einer der besten Mafalda-Momente ist, als sie ihren Vater bittet, ihr den Vietnamkrieg zu erklären; er sagt sinngemäß: "Ich könnte das, aber du würdest es nicht verstehen. Es ist kein Problem für Kinder." Sie überlegt. Und fragt dann: "Und wenn du die pornografischen Teile weglässt?"
Nur neun Jahre lang zeichnete der argentinische Zeichner Quino, der nun im Alter von 88 Jahren gestorben ist, die kurzen Mafalda-Comic-Strips. Weil sie so gelungen Humor, Philosophie und Weltpolitik miteinander mischten und Quino auch handwerklich ein begnadeter Zeichner war, machten sie ihn trotzdem global bekannt. In mehr als 30 Sprachen wurden die kurzen Comicstrips übersetzt.
Umberto Eco sagte mal, Mafalda sei "eine Heldin unserer Zeit", der "Peanuts"-Erfinder Charles M. Schulz, mit dem Quino oft verglichen wurde, nannte den argentinischen Zeichner "einen Giganten". In Deutschland kennen heute viele Menschen Mafalda, im spanischsprachigen Teil der Welt aber wohl jeder und jede. Mafalda-Zeichnungen sind zu Memes geworden, ihre altklugen Sprüche zu Alltagsweisheiten, die zeitlose Gültigkeit besitzen: "Das Leben ist schön. Das Schlimme ist, dass viele 'schön' mit 'einfach' verwechseln."
Dass Mafalda so smart Politik auf Alltagssituationen runterbrach, sie das Weltgeschehen gewissermaßen nie losließ, lag wohl auch an der Biografie von Zeichner Quino. Quino - bürgerlich Joaquín Salvador Lavado Tejón - kam als Sohn andalusischer Eltern im argentinischen Mendoza zur Welt, wenige Jahre vor dem Spanischen Bürgerkrieg. Seine Eltern starben früh, Quino studierte an der Kunstakademie und begann seine Karriere mit Comicstrips.
1964 kam dann der große Durchbruch mit den Mafalda-Zeichnungen, die zuerst in einer argentinischen Zeitschrift erschienen. 1973 verstummte Mafalda dann schon wieder. Quino sagte später dazu: "Nach dem Putsch in Chile wurde die Situation in Lateinamerika sehr blutig." Und weiter, über den Druck und die Säuberungsaktionen der neuen Militärdiktaturen: "Wenn ich sie weitergezeichnet hätte, hätten sie mich einmal erschossen, oder vier Mal."
1976, als auch in Argentinien das Militär putschte und Präsidentin Isabel Perón ihres Amtes enthoben wurde, ging Quino nach Italien, später nach Spanien. Er zeichnete weiter, Mafalda und ihre Freunde - den Kaufmannssohn Manolito, eine kindgerechte Parodie eines Klischee-Kapitalisten, oder die blonde Susanita, die am liebsten mit Puppen spielte, vom Ehemann träumte und als Gegenentwurf zu Mafaldas Mädchentyp stand - ließ er aber nur noch zu Einzelanlässen auferstehen.
2014 wurde Mafalda 50. Quino, der unter grünem Star litt, hatte sich als Zeichner da schon weitgehend zurückgezogen, weil seine Sehkraft so nachgelassen hatte. In einem Interview sagte er damals, ein Mann im Rollstuhl und mit Brille, der die Mischung aus Ernst und Humor ausstrahlte, den auch seine Comicstrips ausmachten: "Der Tag, an dem Menschen merken, dass in meinen Zeichnungen keine der neuen Technologien vorkommt, die für mich etwas Unbekanntes sind, (...) das ist der Tag, an dem das Interesse an meinen Charakteren verblassen wird."
Der Interviewer wendet ein, dass Mafalda und ihre Freunde ja immer noch sehr beliebt sind, sich so viel also nicht geändert habe. Quino antwortet mit einem schicksalsergebenen Satz, der auch aus einem Mafalda-Strip stammen könnte: "Wir machen eben immer noch dieselben Fehler."
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